Worum geht es in diesem Artikel

  • Perfektionismus existiert in ganz unterschiedlichen Ausprägungen.
  • Perfektionismus kann ungesund werden, wenn die Betroffenen unter permanenter Überlastung durch selbst auferlegten Leistungsdruck leiden und keine Entspannung mehr möglich ist.
  • Wenn perfektionistisches Verhalten eines Teammitglieds zu Problemen bei der Aufgabenbewältigung oder zu gesundheitlichen Konsequenzen führt, gibt es Handlungsbedarf für die Führungskraft.
  • Dabei ist es hilfreich die Ambivalenzen zu kennen, die Perfektionismus mit sich bringen kann.
  • Ein erfahrener Coach kann Sie dabei unterstützen, die nötigen Klärungs- und Kritikgespräche vorzubereiten.

Eine gewisse Zeit lang war es Mode in Bewerbungsgesprächen auf die Frage nach den eigenen Schwächen mit „ich bin perfektionistisch“ zu antworten und auf diese Weise mit einer vermeintlichen Stärke zu kokettieren. Glücklicherweise hat es sich herumgesprochen, dass diese Antwort in den meisten Fällen alles andere als glaubwürdig daherkommt. Dazu kommt, dass diese Antwort mittlerweile abgedroschen ist, Personaler und Führungskräfte haben sie millionenfach gehört.

Ist Perfektionismus wirklich ein attraktives Laster? Eine naturgemäße Folge unserer Leistungsgesellschaft, die nun mal den Drang nach Vollkommenheit mit sich bringt? In diesem Blogartikel lesen Sie, dass Perfektionismus auch dysfunktionale Erscheinungsformen haben kann, mit gesundheitlichen Folgen für die Betroffenen. Sie lesen außerdem, was Sie als Führungskraft tun können, wenn das perfektionistische Verhalten eines Ihrer Teammitglieder für Probleme sorgt.

Was ist Perfektionismus?

Perfektionismus ist in ganz unterschiedlicher Ausprägung vorhanden. Seit den 1970er Jahren unterscheiden Psychologen das Streben nach Perfektion in einen funktional gesunden und in einen dysfunktional zwanghaften Typ.

Der gesunde Perfektionist hat eine hohe Leistungsmotivation und setzt sich hohe Standards. Gleichzeitig hat er keine Angst davor, auch einmal Fehler zu machen oder zu versagen. Er hat ein solides Selbstwertgefühl, kann den Erfolg seines Handelns genießen und ist in der Lage, auf seine eigenen Bedürfnisse – z.B. nach Erholung – zu achten. Heute bezeichnet man diese Form des Perfektionismus deshalb eher als Gewissenhaftigkeit.

Studien zufolge zeigen zwei Drittel der Deutschen perfektionistische Tendenzen in unterschiedlicher Ausprägung. Lediglich ein Drittel gibt an, ihre Leistungen seien ihnen eher nicht so wichtig. Von den Personen, die zum Perfektionismus neigen, zählt ca. die Hälfte zu den funktionalen Perfektionisten.

Die andere Hälfte ist die der dysfunktionalen Perfektionisten. Auch sie setzen sich hohe Standards, haben aber zugleich Angst vor Fehlern und Versagen. Eine ihrer größten Sorgen ist es, den (vermuteten) Erwartungen anderer nicht gerecht zu werden. Dysfunktionale Perfektionisten leiden unter dem Eindruck, dass andere Menschen sie nicht mögen oder respektieren, wenn ihnen etwas nicht gelingt. Für sie ist selbstverständlich, dass sie als Person vorrangig nach ihrer Leistung bewertet werden. Besonders gefährlich ist diese Form des Perfektionismus, weil die Betroffenen häufig an ihren eigenen Ansprüchen scheitern und sich dadurch permanent selbst unter Druck setzen.

Perfektionismus ist ein Phänomen, das bei den jüngeren Generationen zunimmt. Eine Studie der britischen Psychologen Thomas Curran und Andrew P. Hill aus 2019 zeigt, dass „Millenials“ heute höhere Erwartungen an sich selbst und andere haben als ihre Vorgänger-Generationen. Angesichts des gesellschaftlichen Erwartungsdrucks glauben junge Menschen offenbar, Perfektionismus sei notwendig, um persönlich, sozial und ökonomisch erfolgreich zu sein. Depressionen, Angsterkrankungen, Einsamkeitsgefühle und Suizidneigungen haben bei jungen Menschen in den drei untersuchten Ländern USA, Kanada und Großbritannien im letzten Jahrzehnt zugenommen. Die Autoren vermuten deshalb einen Zusammenhang zwischen zunehmendem Perfektionismus und psychischen Erkrankungen.

Zudem weisen die Forscher darauf hin, dass durch Social Media und die damit verbundene Tracking- und Bewertungskultur auch der Druck von außen beträchtlich zugenommen hat. Sie förderten neue Formen der Leistungskontrolle und Selbstoptimierung. Mit Blick auf die Studie ist anzunehmen, dass uns im beruflichen Kontext künftig mehr Menschen mit perfektionistischen Tendenzen begegnen werden.

Folgen eines ungesunden Perfektionismus

Ein ungesunder Perfektionismus führt in Verzögerung und Vermeidung: Wer partout keine Fehler machen will, arbeitet pedantisch und streng an jedem Detail und beendet seine Aufgabe erst, wenn sie in seinen Augen mindestens zu 100% erfüllt, optimal und nicht kritisierbar ist.

Während ein Mensch im Normalfall weiß, dass nicht immer alles rund laufen kann und damit klarkommt, kann ein perfektionistischer Mensch darunter leiden. Je nach Ausprägung, richtet sich sein Fokus auf die Dinge, die nicht gut funktionieren. Dieser verengte Blick kann negative Folgen für das eigene Selbstwertgefühl und die Selbstwirksamkeitserwartung haben. Dann fehlt der Glaube daran, aus eigener Kraft schwierige Situationen bewältigen zu können.

Nimmt das Streben nach Perfektion zwanghafte Züge an, sprechen Psychologen von einem krankhaften Perfektionismus. Während gesunde Perfektionisten über selbstwirksame Strategien verfügen, wie sie mit dem selbst gesetzten Stress umgehen, können beim krankhaften Perfektionisten die permanente Überlastung und der selbst auferlegte Leistungsdruck, gepaart mit der Unfähigkeit zur Entspannung, zu psychischen Erkrankungen führen. Hier zeigt die Forschung Zusammenhänge zwischen perfektionistischem Denken auf der einen und Depressivität, Angst- und Essstörungen, Workaholismus sowie Burnout-Syndrom auf der anderen Seite.

Perfektionismus im Unternehmensalltag

Erst kürzlich habe ich den Satz gehört: „Wir suchen Leute, die bereit sind, die Extrameile zu gehen.“ In unserer ergebnisorientierten Gesellschaft ermöglichen eine hohe Leistungsmotivation und ein hoher Grad an Organisiertheit beruflichen Erfolg und sozialen Aufstieg. Ohne Frage leisten Mitarbeiter mit diesen Eigenschaften einen wertvollen Beitrag. Vor allem in naturwissenschaftlichen Disziplinen lässt sich mit präzisen Berechnungen oder Programmierungen unter Umständen sogar Vollkommenheit erreichen.

Auch für Teams, definiert als Gruppe von Menschen mit einem gemeinsamen Ziel und klar differenzierten Aufgaben, kann ein Perfektionist eine wertvolle Bereicherung sein. Andernfalls legt das Team u.U. viel Energie in die kreative Konzeptphase eines Projekts und verliert die Lust bei der Umsetzung. Mit einem Menschen, der perfektionistische Verhaltensweisen zeigt, hat das Team hingegen einen Mitspieler, der pflichtbewusst auf die Details achtet. Er hält Standards und Zeitvorgaben ein und verhindert Fehler. Damit ist er wesentlich für die Qualitätssicherung eines Projekts. Hier macht es die Vielfalt! Je diverser das Team, desto besser. Kein Mensch kann allein alle Eigenschaften aufweisen, die für eine erfolgreiche Teamarbeit hilfreich sind (Bsp. Kreativität und gleichzeitig Genauigkeit).

In einigen Bereichen bestehen wir sogar auf exzellente Leistung. Niemand möchte von einem Chirurgen operiert werden, der nicht 120% bei der Sache ist und sein Handwerk nicht präzise versteht. Wir steigen in Flugzeuge und Autos und vertrauen darauf, dass Ingenieure penibel alle Schwachstellen erkannt und beseitigt haben. Schließlich hängt unser Leben davon ab. Und wer weiß, wie sich die Menschheit entwickelt hätte, wenn es nicht immer wieder Menschen gegeben hätte, die sich mit dem Status quo nicht zufriedengeben wollten.

Perfektionismus kann im Unternehmensalltag jedoch auch hinderlich und kontraproduktiv sein. Nehmen wir an, Sie wollten als Führungskraft von Ihrem Mitarbeiter einen kurzen Projektstatus für ein anstehendes Meeting und dachten dabei an eine Seite. Ihr Mitarbeiter liefert Ihnen nach zwei Wochen eine Abhandlung von 20 Seiten mit einer komplizierten Excel-Auswertung im Anhang. Nicht nur in diesem Beispiel wäre ein „done is better than perfect“ hilfreicher als ein „go the extra mile“ – für die Produktivität und Kreativität, aber auch für die Gesundheit und Zufriedenheit.

Denn: Obwohl Perfektionisten die Vollkommenheit anstreben, sind sie nicht unbedingt erfolgreicher. Im Gegenteil: Je nach Ausprägung des Perfektionismus wird eine überschaubare Aufgabe unter Umständen viel tiefer erarbeitet, als es nötig ist. Jeder Arbeitsschritt wird in Teilschritte zerlegt, damit alles kontrollierbar bleibt. Der eigene Leistungsanspruch und die Angst vor Fehlern vermeiden den Abschluss der Tätigkeit. Es geht nicht um die Sache oder das Projekt, sondern um Unangreifbarkeit der eigenen Person.

Wie führt man einen Perfektionisten?

Letztlich ist es Aufgabe der Führungskraft zu beurteilen, ob die betreffende Person mit ihrem Verhalten dort richtig ist, wo sie gerade eingesetzt ist. Wenn die perfektionistischen Züge Ihrer Teammitglieder nur schwach ausgeprägt sind oder zu keinen Störungen im Teammiteinander führen und augenscheinlich keine gesundheitlichen Konsequenzen für die Betroffenen haben, dann gibt es fürs Erste keinen Handlungsbedarf für Sie als Führungskraft.

Kennen Sie die Ambivalenz des Perfektionismus

Anders ist es, wenn perfektionistische Verhaltensweisen für Probleme bei der Aufgabenerfüllung sorgen. In diesem Fall ist es unumgänglich, als Führungskraft aktiv zu werden. Dafür sollten Sie Folgendes wissen: Perfektionisten können je nach Ausprägung sehr sensibel sein, ausgestattet mit einem geringem Selbstwert, mit Kontrollsucht und mit einer Angst vor Kritik und Versagen.

Die Betroffenen haben oft selbst ein ambivalentes Verhältnis zu ihrem Perfektionismus. Einerseits leiden sie unter dem Druck, den sie sich selbst machen. Andererseits ist der Perfektionismus ihre Überlebensstrategie, oft schon erlernt in Kindertagen. Auch wenn Ihr Mitarbeiter äußert, er wünsche sich selbst lockerer zu werden, können sie sich nicht darauf verlassen, dass er seine Verhaltensmuster aus eigener Kraft zügig verändern kann. Grundsätzlich haben Perfektionisten schon früh gelernt, dass Leistung wichtig ist. Wenn zudem im Kindesalter Fehler als unverzeihlich galten, dann kann man sich vorstellen, wie schwierig es ist, sich jetzt mit der eigenen Fehlerhaftigkeit und Durchschnittlichkeit zu akzeptieren. Ein Satz wie „gut reicht vollkommen“ ist für einen Perfektionisten eine Katastrophe.

Führen Sie ein wertschätzendes Klärungsgespräch

Gehen Sie in ein klärendes Gespräch mit Ihrem Mitarbeiter und nutzen Sie es für ein konstruktives Feedback, das diese Ambivalenz einbezieht. So können Sie z.B. sachlich Ihre Wahrnehmungen seines Tuns (nicht seiner Person) schildern: Einerseits können Sie z.B. seine perfektionistische Arbeitsweise würdigen, wo es angebracht ist. Denn unbestritten leistet er eine wertvolle Arbeit. Andererseits hat die Präzision eventuell negative Folgen für die Produktivität und vielleicht sogar für seine Gesundheit.

Da Perfektionisten in der Regel Schwierigkeiten im Umgang mit Kritik haben, ist ein vertrauensvoller und wertschätzender Rahmen für ein solches Gespräch immens wichtig. Finden Sie in einem zweiten Schritt heraus, ob und wie Ihr Mitarbeiter diese Ambivalenz wahrnimmt. Schließlich kann das Gespräch in die folgende Fragestellung münden: Wie kannst du die positiven Seiten deiner Arbeitsweise beibehalten und gleichzeitig den Druck reduzieren / auf deine Gesundheit achten? Machen Sie sich dabei bewusst, dass sich ein Perfektionist solche Abweichungen in der Regel nicht erlaubt.

Vereinbaren Sie konkrete Maßnahmen

Deshalb sollten Sie im Gespräch konkrete Maßnahmen vereinbaren, die regelmäßig nachgehalten und besprochen werden sollten. Perfektionisten müssen peu à peu lernen, die Messlatte tiefer zu hängen und die eigenen Ansprüche zu senken. Das ist eine große Anstrengung, die alle Lebensbereiche umfasst und die eine Führungskraft nur in einem engen beruflichen Rahmen begleiten kann und sollte.

Zu den Maßnahmen können z.B. Verhaltensveränderungen zählen. So könnten Sie Ihren Mitarbeiter auffordern, eine bestimmte Aufgabe nur zu 90 Prozent zu erledigen. Dafür braucht es eine enge Führung, klare Strukturen und präzise Vorgaben. Sagen Sie ihm genau, was er (nicht) tun soll: „Maximal 10 Seiten, keinen Anhang, ….“

Alternativ können Sie Ihren Mitarbeiter auffordern, Aufgaben zu delegieren, die er sonst nie aus der Hand geben würde. Machen Sie sich bewusst, dass dies Ihren Mitarbeiter sehr fordert: Er muss das Gefühl aushalten, etwas in seinen Augen Unvollkommenes zu produzieren. Umso wichtiger ist es, dass Sie mit ihm gemeinsam regelmäßig reflektieren, ob ein in seinen Augen unvollkommenes Produkt zur Katastrophe geführt hat (wie er es erwarten würde).

Eventuell können Sie dazu positive Feedbacks von Dritten (interne und externe Kunden) einholen. Bei einem Perfektionisten ist es sehr wichtig, dass Sie ihn loben für das, was er leistet und ihn besonders in dieser Veränderungsphase für die Anstrengungen wertschätzen, die er unternimmt.

Hilfreich kann es auch sein, die Definition von „perfekt“ im Unternehmenskontext zu verschieben. An seinem Arbeitspatz ist nicht sein eigener Qualitätsanspruch, sondern der des Unternehmens, des externen oder internen Kunden oder des Vorgesetzten maßgeblich. Ihr Mitarbeiter kann sich im Zweifel gar nicht vorstellen, dass seine Kunden mit einem 80-prozentigen Resultat glücklich und zufrieden sind (weil der Kunde weniger Fachwissen oder nicht viel Zeit für Details hat). Hier gilt nach wie vor der Satz: Der Köder muss den Fisch schmecken, nicht dem Angler.

Handeln Sie bei Blockade

Machen wir uns nichts vor: Je nach Konstellation ist nicht durchweg mit Einsicht zu rechnen. Es kann durchaus sein, dass Ihr Mitarbeiter es als beleidigend und unter seiner Würde begreift, wenn sein umfangreiches Fachwissen verschmäht wird und er Durchschnittliches produzieren soll. Das kann konfliktreich sein. Ist er der Fachexperte und Sie als Vorgesetzter fachlich unterlegen, kann er Sie ganz schön auflaufen lassen und z.B. Unterlagen für Ihr Meeting mit dem Vorstand so kompliziert und detailliert aufbereiten, dass Sie damit Schiffbruch erleiden.

Ist bereits ein erstes klärendes Gespräch erfolgt, das nicht den erwünschten Erfolg gebracht hat, dann steht nun ein Kritikgespräch an. Viele Führungskräfte haben verständlicherweise Respekt vor einem solchen Gespräch und vor den Reaktionen des Gegenübers. Für ein Kritikgespräch ist eine gute Gesprächsvorbereitung das A & O. Ziehen Sie im Zweifel einen erfahrenen Coach hinzu, um ein solches Gespräch gut vorzubereiten.

Die Basis eines solchen Gesprächs ist die des konstruktiven Feedbacks: Sie beschreiben zunächst sachlich und ohne Wertung das Verhalten des Mitarbeiters in der konkreten Situation. Sie teilen dann mit, welche Wirkung dieses Verhalten auf Sie hat (Verärgerung, Enttäuschung,…). Schließlich formulieren Sie klar Ihre Erwartung und setzen Grenzen: „Das erwarte ich von Dir.“ Je nach Eskalation können Sie in Aussicht stellen, welche Konsequenzen eine erneute Zuwiderhandlung haben wird.

Handeln Sie bei gesundheitlichen Folgen

Als Führungskraft haben Sie eine besondere Verantwortung, wenn Gesundheit und Sicherheit Ihrer Mitarbeiter gefährdet sind. Bei bestimmten Ausprägungen des Perfektionismus ist Anerkennung durch Leistung so dominant, dass die Betroffenen unter permanenter Anspannung und Anstrengung stehen und sich selbst keine Phase der Erholung und Entspannung erlauben können. Die Gefahr bei einem Burnout besteht gerade darin, dass die Betroffenen kein Gespür für sich selbst haben und nicht merken, wie sehr sie eine Regeneration bräuchten. Wenn Ihr Mitarbeiter regelmäßig bis spät abends arbeitet, weil er sonst sein Pensum nicht schafft, oder die Leistungen trotz ausufernder Arbeitszeiten nicht besser oder sogar schlechter werden, müssen Sie dringend handeln. Auch hier geht es zunächst um persönliche Kommunikation und um Entlastung: Führen Sie den Betroffenen eng, gehen Sie regelmäßig ins Gespräch, reduzieren Sie die Aufgaben, die in seiner Verantwortung liegen, oder geben Sie ihm weniger anspruchsvolle Tätigkeiten.