Worum geht es in diesem Artikel

  • Ein Viertel der neu eingestellten Mitarbeitenden kündigt innerhalb der Probezeit.
  • Ein strukturierter Onboardingprozess kann gegen die Anfangsfluktuation helfen.
  • Neben administrativen Basics und der fachlichen Einarbeitung sollte das Onboarding die kulturell-soziale Integration berücksichtigen.
  • 11% der Unternehmen nutzen Coaching bereits als Onboardinginstrument für ihre neuen Fach- und Führungskräfte.
  • Wesentliche Onboardingelemente bleiben allerdings Führungsaufgabe.
  • Ein Coach kann den Vorgesetzten beim Onboarding des neuen Teammitglieds unterstützen.

Der Fachkräftemangel ist allgegenwärtig, und Unternehmen stecken viel Zeit und Geld in die Rekrutierung von neuen Fach- und Führungskräften. Leider zeigen Studien, dass mit einem unterschriebenen Arbeitsvertrag noch nichts in trockenen Tüchern ist. Rund ein Viertel der neu Eingestellten kündigt in der Probezeit. In diesem Blogartikel geht es um die Elemente eines guten und strukturierten Onboardingprozesses, der mehr liefern muss als eine fachliche Einarbeitung, und um den Nutzen von Coaching als Onboarding-Instrument.

Ein gutes Onboarding ist wichtig für die Mitarbeiterbindung

Das neue Teammitglied ist gefunden, der Arbeitsvertrag unterschrieben. Man könnte meinen, dass ein Unternehmen im so genannten „Krieg um die Talente“ den Sieg davongetragen hat und nun alles für eine gelungene Bindung der neuen Arbeitskraft tun wird. Schließlich sind viel Zeit und Geld in die Rekrutierung geflossen.

Umso erstaunlicher ist es deshalb, welche Erfahrungen meine Coachingkundinnen und -kunden beim Stellenantritt machen: Einer der Klassiker ist leider immer noch, dass der Arbeitsplatz nicht eingerichtet ist und das technische Equipment fehlt. Oder: Das Team weiß nicht, dass das neue Teammitglied an jenem Tag kommt. Es ist schlichtweg niemand da, um den Neuzugang willkommen zu heißen.

Ich selbst erinnere mich, dass ich einmal mit einem Blumenstrauß herzlich am neuen Arbeitsplatz begrüßt wurde. Danach war ich jedoch mit einem überraschend frustrierten Team, unterschiedlichen Vorstellungen zu meinem Handlungsspielraum als Führungskraft und einem nicht funktionierenden Produkt auf mich allein gestellt. Ich erinnere mich auch an eine Jobbeschreibung aus dem Bereich der kreativen Prosa, denn der reale Job hatte mit den in Aussicht gestellten Tätigkeiten nichts zu tun. Und lachen kann ich heute über das Schild „flexible Nutzung“, das lange Zeit an einer meiner Bürotüren prangte. Die Unternehmensprozesse ließen es offenbar über Monate nicht zu, stattdessen ein Schild mit meinem Namen anzubringen.

Und schließlich höre ich auch das in Coachingsitzungen: Neue Mitarbeitende bekommen keine klare Zielvorgabe für die Probezeit, arbeiten „irgendwie“ vor sich hin, die überlastete Führungskraft steht für Gespräche und Feedbacks kaum zur Verfügung und plötzlich kommt die Einladung zu einem Kritikgespräch wegen nicht erfüllter Erwartungen.

Ein Viertel der neu Eingestellten kündigt in der Probezeit

Die Beispiele zeigen: Es gibt leider viele Möglichkeiten, nicht nur die Chance auf eine frühzeitige Leistungsfähigkeit und eine langfristige Bindung neuer Mitarbeitender zu verspielen, sondern auch zu riskieren, dass sich ein neues Teammitglied doch noch gegen das Unternehmen entscheidet. Der Haufe Onboarding Umfrage 2019 zufolge kündigt ein Viertel der neu Eingestellten innerhalb der Probezeit. Eine erschreckende Zahl. Damit beginnt die aufwändige Personalsuche von vorn und kostet noch einmal Zeit und Geld. Dazu kommt oft die steigende Frustration in einem unterbesetzten Team, das sich gerade auf eine neue Person eingestellt hatte und nun doch wieder zusätzliche Aufgaben schultern muss.

Das Gros der Personalerinnen und Personaler hat das Problem erkannt: 81% der befragten HR-Verantwortlichen der Haufe Onboarding Umfrage 2021 sehen dringend Handlungsbedarf bei der Anfangsfluktuation innerhalb des ersten Jahres der Unternehmenszugehörigkeit.

Zu einem guten Onboarding gehört die sozial-kulturelle Integration

Die Lösung ist ein strukturierter Onboardingprozess. Aber: Was heißt das eigentlich genau? Fast die Hälfte der von Haufe in 2021 befragten Unternehmen konzentriert sich nach wie vor auf einen fachlichen Einarbeitungsplan mit Trainings und Schulungen.

Dabei scheitern hoch ausgebildetes Fachpersonal und Führungskräfte selten an den eigenen fachlichen Fähigkeiten. Oft fehlt es hingegen am Verständnis der kulturellen Normen und Werte des neuen Unternehmens sowie am Wissen über Machtzentren und Entscheidungsstrukturen. Und manchmal sind auch die eigene Rolle, die Ziele und Erwartungen einfach noch nicht klar.

Mein Eindruck aus der Coaching-Praxis ist, dass dieses Missverhältnis mit steigender Hierarchieebene sogar zunimmt. Je komplexer die (Führungs-)Aufgabe und je höher die Erwartungen, desto weniger sozial-kulturelle Betreuung erfahren die Neuen. Nach dem Motto: Wir stellen ja immerhin eine erfahrene Person ein. Das muss die allein können!

Begleitung und Reflexion statt „Blindflug“

Ein solcher Start „im Blindflug“ ist in der Regel mit Stress und Druck verbunden. Hundert Tage, sagt man, habe die Fach- oder Führungskraft Zeit, um den eigenen Fußabdruck zu hinterlassen. Dabei ist zu dem Zeitpunkt die Kultur des Unternehmens noch gar nicht greifbar. Wertvolle Zeit und Energie wird für „Forschungsarbeiten“ verschwendet, z.B. für die Frage, wer wohl die wichtigen internen und externen Stakeholder sind, mit deren Zielen und Interessen man sich besser auseinandersetzen sollte. Es besteht die Gefahr des Aktionismus, der fehlenden Fokussierung, der verfehlten Ziele und unerfüllten Erwartungen – einfach nur, weil nicht ausreichend kommuniziert, begleitet, integriert und reflektiert wird.

Ein guter strukturierter Onboardingprozess verfolgt deshalb einen ganzheitlichen Ansatz und hat neben administrativen Basics und der fachlichen Einarbeitung auch die kulturell-soziale Integration der neuen Mitarbeitenden auf dem Schirm. Für alle drei Aspekte des Onboardings gibt es viele hilfreiche Instrumente, die Unternehmen in einen strukturierten Onboardingprozess einfließen lassen können, um Menschen wertschätzend willkommen zu heißen, sie emotional an das Unternehmen zu binden und sie zügig zu produktiven Mitarbeitenden zu entwickeln.

Ein Coach als Sparringspartner für neue Fach- und Führungskräfte

In diesem Artikel möchte ich den Fokus auf einen Baustein legen, den 11% der von Haufe befragten Unternehmen bereits im Onboardingprozess anwenden: Das Coaching. Ein professioneller Coach kann das Onboarding neuer Fach- und Führungskräfte sinnvoll begleiten, bei der Reflexion helfen und bei Themen wie Zusammenarbeit, Führung, Fokussierung und Unternehmenskultur unterstützen.

Das gilt streng genommen für alle neuen Fach- und Führungskräfte. Ganz besonders gilt das jedoch für Neubesetzungen, die von vorneherein mit Herausforderungen, einer hohen Zielerwartung oder der Notwendigkeit hoher Problemlösungskompetenz verknüpft sind. Dazu zählen z. B.

  • Fachkräfte, die in ihre erste Führungsposition wechseln
  • Führungskräfte, die von außen in größere Unternehmen mit komplexeren (Matrix-)Strukturen wechseln
  • Führungspositionen, deren Abteilung oder der Geschäftsbereich in der Transformation steckt
  • neu geschaffene Stellen
  • Stabstellen mit lateraler Führung
    Positionen mit bekanntem Konfliktpotenzial in der Abteilung oder dem Arbeitsbereich
  • Positionen mit gescheitertem Vorgänger und entsprechend hohem Erwartungsdruck

Egal, wie standardisiert und gut strukturiert ein Onboardingprozess aufgesetzt ist: Überall dort, wo Menschen mit Menschen zusammenarbeiten, in einer noch unbekannten Unternehmenskultur mit ungeschriebenen Regeln, können individuelle Fragestellungen entstehen, für die sich neue Fach- oder Führungskräfte einen Sparringspartner für die (Selbst-)Reflexion wünschen. Meiner Erfahrung nach geht es bei Coachingprozessen im Onboarding um Themen wie

  • Unsicherheiten bei der Strategieentwicklung und Fokussierung für sich selbst und/oder den neuen Arbeitsbereich
  • die Kommunikation mit der Führungskraft „läuft nicht rund“ und die Erwartungen sind unklar
  • die eigene Rolle (z.B. Ziele, Aufgaben) ist unklar
  • Schwierigkeiten beim Beziehungsaufbau mit dem eigenen Team
  • Unsicherheiten, zu welchen Stakeholdern Beziehungen aufgebaut werden sollten
  • Stärkung der neuen Führungskraft in herausfordernden Situationen (z.B. Transformation, Konflikte)
  • Reflexion des eigenen Führungsverständnisses für die neue Rolle
  • Reflexion und Sensibilisierung für die Unternehmenskultur und die systemischen Zusammenhänge des neuen Unternehmens
  • Wissens-Transfer (z.B. Change-Management, Organisationsentwicklung, Führung) zur Unterstützung bei transformatorische Prozessen

Coaching für die vorgesetzte Führungskraft im Onboardingsprozess

Einige administrative und fachliche Elemente des Onboardingsprozesses können von der Personalabteilung oder von gleichgestellten Teammitgliedern im Rahmen einer Patenschaft übernommen werden. Die Integration der neuen Fach- oder Führungskraft in das Team und das Unternehmen sind jedoch vorrangig Führungsaufgabe und erfordern eine dauerhafte Präsenz der Führungskraft im Onboarding. Auch wichtige Onboarding-Aufgaben wie Zielvereinbarungen, Klärung von Zuständigkeiten und Verantwortungsbereichen, Mitarbeiter- und Feedbackgespräche und die Leistungsbeurteilungen können von der Führungskraft nicht delegiert werden.

Für manche Vorgesetzte können diese Onboardingaufgaben eine Herausforderung sein. Die zunehmende Arbeitsverdichtung und der Fachkräftemangel führt in der Regel zur gesteigerten Übernahme von operativen Aufgaben in der Führungsetage, wenn die Unternehmenskultur nicht sowieso den Schwerpunkt auf Fachaufgaben zulasten von Führungsaufgaben legt.

Auch hier kann ein professioneller Coach das Onboarding begleiten, indem er die Führungskraft für die eigene Rolle im Onboardingprozess sensibilisiert und sie dabei unterstützt, die eigenen Erwartungen an das neue Teammitglied zu reflektieren. Ein Coach kann die Führungskraft als Sparringspartner zudem darin unterstützen, wichtige Onboardingaufgaben konkret vorzubereiten. Dazu gehört z.B.

  • Vorbereitung eines Austauschs zur Unternehmens- und Bereichsstrategie und den bestehenden Plänen
  • Transparenz über mögliche Herausforderungen der neuen Stelle
  • Vorbereitung von Gesprächen mit internen und externen Stakeholdern zu strategischen Themen, Besonderheiten und Herausforderungen des Marktes
  • Klärung der gegenseitigen Erwartungen in Bezug auf Kommunikation und Abstimmung
  • Vorbereitung und Planung regelmäßiger Feedback- und Abstimmungsgespräche in der Probezeit

Keine Frage: Im Onboardingprozess sind Führungskräfte sehr gefordert. Der Lohn für diese Anstrengungen ist jedoch im idealfall eine motivierte Fach- oder Führungskraft, die zügig in ihre Rolle hineinwachsen und einen produktiven Beitrag leisten kann. Anpassungsschwierigkeiten können frühzeitig entdeckt und ausgeräumt werden. Die Qualität des Onboardingsprozesses entscheidet am Ende maßgeblich darüber, ob sich neue Mitarbeitende langfristig an das Unternehmen binden oder ob erneut Zeit und Geld in die Rekrutierung fließt.